Frauen in die Mitte – Stellungnahme des Frauenwahllokals zu neuen Straßennamen

Vor ein paar Wochen beschloss der Kulturausschuss, dass drei Straßen in der Potsdamer Mitte nach Frauen benannt werden sollen. Diese Woche nun steht die Abstimmung in der Stadtverordnetenversammlung an. In der Zeit zwischen diesen zwei Sitzungen kochten die Gemüter in Potsdam ordentlich hoch. Einige stellten in Frage, ob hier demokratische Prozesse eingehalten wurden. Andere verbitten sich jeden Angriff auf die historische Wiederauferstehung des Stadtzentrums in all seiner Größe. Schließlich ist das Ensemble mit allem Pipapo doch Teil unseres über Jahrhunderte gepflegten kollektiven Gedächtnisses. Und was ja mal schon gar nicht geht, sind Namen an denen der anrüchige Gestank einer politischen Partei hängt – egal welcher.

Wir Frauen vom Frauenwahllokal setzen uns dafür ein, dass drei Straßen in bester Lage nach Anna Flügge, Anna Zielenziger und Erika Wolf benannt werden. Und wir möchten an dieser Stelle auf ein paar Argumente, die in den vergangenen Wochen in der Tagespresse besprochen wurden, eingehen.

Foto: Karoline Wolf

Aber das kann man doch nicht einfach so machen

In ihrer PNN-Kolumne vom 1. November schreibt Steffi Pyanoe „Es gibt Werkzeuge und Regeln zur Benennung neuer Straßen, und die könnte man einfach nutzen.“ Stimmt.

Das Frauenzentrum Potsdam weist am 4. November in einer Presseerklärung darauf hin, dass es schon 2015 einen Beschluss gab, die weiblichen Straßennamen mal anzugehen:

„Die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung beschloss bereits im April 2015, dass ‚in den folgenden 5 Jahren […] vorrangig Frauen durch Straßennamen für ihr Wirken in Potsdam gewürdigt werden [sollen].’ Der Antrag 15/SVV/0047 wurde damals von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen eingereicht und im Ausschuss für Kultur und Wissenschaft diskutiert. Anna Zielenziger war eine von fünf Potsdamer Frauen, deren Namen in den Pool der Straßennamen aufgenommen wurden und bevorzugt eingesetzt werden sollten. Leider wurde dies bis heute nicht umgesetzt.“

Es wurden Namen aus dem Pool in den Kulturausschuss eingebracht, dieser hat eine Beschlussempfehlung abgegeben und jetzt entscheidet die Stadtverordnetenversammlung. An welcher Stelle sind wir denn aus dem demokratischen Prozess ausgeschert, Frau Pyanoe?

Im nächsten Satz heißt es: „Hier aber geht es um Stadtgeschichte. Zum weitgehend einmütig beschlossenen Wiederaufbau der Mitte gehören auch die historischen Namen. Ende.“

Wie kollektiv kann ein Gedächtnis sein?

Wir lassen mal kurz außen vor, wie „einmütig“ der Wiederaufbau ist und konzentrieren uns auf die historischen Namen. Rein administrativ betrachtet werden hier Straßen gebaut, die es vorher nicht gab. Also geht es um eine Neubenennung. Andererseits werden die neuen Straßen an Stellen gebaut, an denen es historisch schon einmal Straßen gab, welche Namen trugen. Für die Menschen, die die Mitte so wiederherstellen wollen, wie sie einmal war, wäre es also gefühlt eine Umbenennung, egal, was die Stadtverwaltung dazu sagt. Die MAZ zitiert den CDU-Vorstandsvorsitzenden Wieland Niekisch mit den Worten: „Traditionsreiche Namen sind nicht nur ein unverwechselbarer Teil des Stadtgedächtnisses von Potsdam, sondern auch Orientierungspunkte und Werbeträger für Adressen und Geschäfte gerade in der Innenstadt.“

Nun ja, das Gedächtnis, insbesondere das kollektive, ist ja so eine Sache. Können wirklich alle Ur-Potsdamerinnen und -Potsdamer mit der Kaiserstraße etwas anfangen? Was ist mit den Menschen deren Stadtgedächtnis die Fachhochschule, das Mercure oder die Blechbüchse einschließt? Wie verhält es sich mit all denen, auf deren innerer Landkarte die Stadt immer noch hinter der Pappelallee aufhört und die jedes Mal wieder mit großen Augen durch das Bornstedter Feld laufen? Wie kommen zwei Stadtgedächtnisse zusammen von denen eins in einer Luxuswohnung in der Waldstadt lebt und das andere beim Stichwort Waldstadt an die Baseballschlägerjahre der 1990er denken muss?

Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass Zeiten sich ändern und gerade Potsdam voller historischer Brüche ist und bleibt. Die kann man nicht wegverputzen. Die darf man ruhig sehen. Martin Sabrow, Historiker und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung, sagt in der PNN, dass gerade diese neuen Straßennamen an diesem Ort einen solchen Bruch sehr gut sichtbar machen könnten. „Im Fall der Potsdamer Mitte sei ‚diese Authentizität aber ohnehin geborgt, weil es sich um Nachschöpfungen aus Gegenwartsinteresse handelt‘. Insofern wäre ‚das Spiel der Gegensätze‘ zwischen historischem Stadtgrundriss und gesellschaftspolitisch motivierter Neubenennung reizvoll – ‚und es würde Potsdam-Besucher weniger der Gefahr aussetzen, eine städtebauliche Rekonstruktion mit dem verlorenen Original zu verwechseln.‘“

Igitt, Politik!

Die Bürgerinitiative Mitteschön möchte selbstverständlich nicht die neuen Namen an diesem Ort. Ein Aspekt schien ihr ein ganz besonderer Dorn im Auge zu sein: Der Umstand, dass zwei der drei vorgeschlagenen Frauen ein Parteibuch hatten. Die MAZ zitiert sie mit dem Vorwurf der „Straßenumbenennung nach Parteiproporz“.

Mitten auf dem Alten Markt steht der Landtag Brandenburg. Im zerstörten und wiederaufgebauten Barberini tagte einst die Stadtverordnetenversammlung. Die Straßenbahn fährt die Friedrich-Ebert-Straße entlang, aber Politik, und besonders Parteipolitik, hat an diesem schönen Ort wirklich rein gar nichts verloren. Matthias Matern schreibt in der PNN, dass die historisch verbürgten Namen wie Kaiser und Schloss „völlig unbelastet“ sind. Wir wissen ja alle, dass es sich bei einer Monarchie nicht um ein politisches System, sondern eine Kulisse für sehr schöne Liebesfilme handelt.

Beim diesjährigen Neujahrsempfang der Stadt Potsdam hielt der ehemalige Oberbürgermeister und Ministerpräsident Matthias Platzeck die Festrede und ging auf die aktuelle Bedrohung unserer Demokratie durch erstarkende rechtspopulistische und rechtsextremistische Kräfte ein. Er erinnerte alle Anwesenden daran, dass Parteien eine wichtige Funktion in der Demokratie haben und aus gutem Grund im Grundgesetz hervorgehoben werden. Er sagte, wir täten gut daran, uns bei den Menschen zu bedanken, die gerade ehrenamtlich ihre Zeit und Kraft in demokratische Parteien stecken.

Es ist entlarvend wie abwertend hier über das parteipolitische Engagement von Anna Flügge und Erika Wolf gesprochen wird. Was diese beiden und Anna Zielenziger gemacht haben, war, ihre Gesellschaft in sehr schwierigen Zeiten aktiv mitzugestalten. Erika Wolf und Anna Flügge taten dies im Rahmen einer Partei, Anna Zielenziger in ihrer Gemeinde. Alle drei bezahlten einen hohen Preis für ihr Engagement. Die eine verlor ihre Heimat, die andere ihre Freiheit und die dritte ihr Leben. Ihre Lebensleistungen abzuwerten, weil man wahlweise SPD, CDU oder beide anrüchig findet, ist frech.

Endlich Sichtbar

Als Frauenwahllokal freuen wir uns, dass der Vorschlag, die drei zentralen Straßen nach verdienten Potsdamer Frauen zu benennen, von den Stadtverordneten behandelt wird. Auch wenn wir so manches Gegenargument nicht nachvollziehen können, begrüßen wir doch die lebhafte, demokratische Debatte, die in der Presse und Stadtgesellschaft geführt wird. Ein erstes Ziel haben wir jetzt schon erreicht. Anna Flügge, Erika Wolf und Anna Zielenziger sind endlich sichtbarer geworden. Wir möchten, dass das so bleibt.

Text: Laura Kapp

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3 Kommentare zu „Frauen in die Mitte – Stellungnahme des Frauenwahllokals zu neuen Straßennamen

  1. Besten Dank für die umfängliche und in meinen Augen stichhaltige Argumentation – Brüche deutlich machen und als Herausforderung und Chance für eine differenzierte Geschichtsbetrachtung zu begreifen ist für mich eines der wichtigsten Argumente – ganz im Widerspruch zu einer möglichst perfekten Postkartenimitation der Potsdamer Architekturgeschichte, die sich auf bizarre Weise in den Entschädigungsanspruchen der Hohenzollern zu spiegeln scheint. Es geht hier um mehr als “nur” Entscheidungen fur die bettete Geschäftsadressen zu treffen.

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