In Potsdam hat jede*r schon mal ihren Namen gehört, denn die Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 92 und 96 trägt den Namen der Frau, die als erste weibliche Abgeordnete 1919 im Reichstag sprach.
Das wissen im 100. Jubiläumsjahr der Erringung des Frauenwahlrechts sicher einige und auch, dass Marie Juchacz im gleichen Jahr die Arbeiterwohlfahrt gründete. Doch ansonsten ist wenig über die Sozialdemokratin bekannt. Dies reizte auch die Journalistin Margit Miosga, sich für die rbb-Reihe „100 Jahre Frauenwahlrecht“ intensiv mit der aus proletarischen Verhältnissen stammenden Marie Juchacz zu beschäftigen. Ihr 2018 entstandenes Radio-Porträt wurde jetzt als Auftakt einer dreiteiligen Reihe im Potsdamer Frauenwahllokal als „Historisches Hörspielkino“ zu Gehör gebracht.

Sabine Hering und Margit Miosga
Das 25-minütige Feature, in dem collagenhaft sowohl Marie Juchacz selbst in einer Archivaufnahme von 1928 zitiert wurde, als auch Zeitzeuginnen und auch die Soziologin und Historikerin Sabine Hering zu Wort kamen, zeichnet das Bild einer modernen, willensstarken Frau, die sich aus kleinen Verhältnissen hochkämpfte. Sie wurde 1879 in Landsberg an der Warthe – das damals zu Brandenburg gehörte – in eine Zimmermannsfamilie geboren und musste wie viele andere auch direkt nach dem Besuch der Volksschule arbeiten.
Margit Miosga, die im Frauenwahllokal auch nach der anregenden Aufführung Rede und Antwort stand, zeigte sich beeindruckt davon, dass Juchacz als sehr junge Frau unter anderem zwei Jahre in einer Nervenheilanstalt arbeitete und es schließlich schaffte, eine Ausbildung als Schneiderin zu bekommen. Diese ermöglichte es ihr, als sie alleinerziehend mit zwei Kindern 1906 nach Berlin zog, selbstständig für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Nachts und nach ihrer Tätigkeit als gefragte sozialdemokratische Veranstaltungsrednerin.
Und noch etwas fasziniert an ihrer Biografie. Juchacz lebte zeitlebens mit ihrer Schwester Elisabeth Röhl und deren Kind zusammen. Die beiden Frauen schulterten die Kindererziehung und die politische Arbeit gemeinsam und saßen auch beide für die SPD im Reichstag. Es war ein großer Verlust, als Elisabeth Röhl erst 42 Jahre alt 1930 starb.
Drei Jahre später ergriffen die Nationalsozialisten die Macht, der Reichstag wurde aufgelöst und Marie Juchacz emigrierte danach über verschiedene Stationen bis in die USA, wo sie bis 1949 lebte und es ihr nicht leicht fiel, mit über 60 Jahren noch Englisch zu lernen.
Margit Miosgas Porträt zeigte vor allem die private Seite der Sozialdemokratin, die nach der Spaltung der SPD als Nachfolgerin von Clara Zetkin – gefördert von Friedrich Ebert – die zentrale Frauensekretärin der Partei wurde. Marie Juchacz, die früh politisch interessiert, sehr wissbegierig und lernfähig war, ergriff diese Gelegenheit und wurde so zur ersten Frau, die im Reichstag sprechen durfte.
Ihre berühmten Worte nach Erlangung des Frauenwahlrechts – „sie (die Räteregierung – Anm. d. Red.) hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin vorenthalten worden ist“- zeugen von einem starken Selbstbewusstsein, das sie sich zeitlebens erkämpft hat.
Margit Miosga wies außerdem darauf hin, dass es vor allem Juchacz‘ Vater war – ein politisch und literarisch interessierter Gewerkschafter – der seine Töchter früh förderte und so den Grundstein für ihr erfolgreiches Wirken legte.
Text: Astrid Priebs-Tröger
Fotos: Irene Kirchner
Das Feature kann man hier hören: https://rbbmediapmdp-a.akamaihd.net/content/af7d2c90-1244-485e-9307-c99426623622_99a060e9-b552-485f-8d0a-7587089ab85a.mp3