Uns gehört die Hälfte der Welt!

Es ist nicht viel bekannt über die sechs Frauen, die am 18. März 1919 als erste weibliche Potsdamer Stadtverordnete im damaligen Palast Barberini tagten. Dies zu ändern hat sich die Initiative Frauenwahllokal u. a. auf ihre Fahnen geschrieben. Sie lud anlässlich dieser denkwürdigen 1. Stadtverordnetenversammlung mit Frauenbeteiligung zu einem großen Festakt ins Auditorium des heutigen Kunstmuseums Barberini ein – auch, um einen Brückenschlag zwischen Politik, Kunst und Wissenschaft der Gegenwart zu vollziehen.

„Seit Jahren sinkt der Anteil der weiblichen Stadtverordneten. Wir müssen die Kommunalpolitik für Frauen attraktiver machen. Das Ziel muss Parität sein … überall.“ Mike Schubert, Potsdamer Oberbürgermeister, anlässlich des Festaktes am 18. März 2019

Nach den Grußworten von Museumsdirektorin Dr. Ortrud Westheider, Oberbürgermeister Mike Schubert und der Vorsitzenden der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung,  Birgit Müller, warf die Potsdamer Ethnologin Jeanette Toussaint ein Schlaglicht auf die historischen Hintergründe: Nach Ende des 1. Weltkrieges waren auch in Potsdam die Ernährungssicherung der Not leidenden Bevölkerung und die Demobilisierung der Soldaten die wichtigsten Aufgaben.

Der Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrates Wilhelm Staab begrüßte dennoch die faktische Durchsetzung des Frauenwahlrechtes und die erstmals gewählten Vertreterinnen der Stadtverordnetenversammlung: Elisabeth Holmgren (DNVP), Berta Beyertt (SPD), Mathilde Lange (USPD/KPD), Helene Krohn (DDP),  Martha Schulz (DDP/DVP) und Elisabeth Hoffmann (DVP). Diese ersten weiblichen Stadtverordneten – von denen es keine Fotos gibt – brachten sich, so Jeanette Toussaint in ihrer detaillierten Einführung,  „vorwiegend in Diskussionen um soziale Belange ein.“

Jeanette Toussaint forschte zu den ersten weiblichen Potsdamer Stadtverordneten

Zwölf Jahre später, 1931 bilanziert das sozialdemokratische „Potsdamer Volksblatt“, dass unter Mitwirkung der weiblichen Politikerinnen viele Verbesserungen erreicht wurden:  unter anderem beim „der Schutz der erwerbstätigen Frau, beim Schwangeren- und Wöchnerinnenschutz … beim Kinder- und Jugendschutz, der Aufhebung der Reglementierung der Prostitution und vieles mehr.“

Wie sehr sich die Zeiten seitdem geändert haben, war auf dem inspirierenden Jubiläums-Festakt in vielen Dingen zu spüren. Im schicken weißen Auditorium des Barberini saßen 2019 viel mehr Frauen als Männer. Die musikalische Ausgestaltung  wurde souverän und zudem interkulturell von zwei jungen Frauen – der schamanisch inspirierten Berliner Vocalistin Saskia Baumgart und der iranischen Tar-Spielerin Yalda Yazdani – übernommen, die sowohl ein „Frauenwahlrechtslied“ von 1911 als auch  Bob Dylans „The times are changing“  originell adaptierten.

„Es hat sich viel getan in der Wissenschaft … aber von Parität kann keine Rede sein.“ Ulrike Gutheil, Kulturstaatssekretärin und ehemalige 1. Kanzlerin der TU Cottbus

Und in dem von rbb-Kulturradio Moderatorin Shelly Kupferberg engagiert moderierten Podium saßen ausschließlich Frauen, die sich heutzutage mit weit mehr als sozialen Fragen auseinandersetzen. Die brandenburgische Kultur-Staatssekretärin Ulrike Gutheil, die Intendantin des Hans Otto Theaters, Bettina Jahnke und Brigitte Faber-Schmidt, paritätische Geschäftsführerin von Kulturland Brandenburg diskutierten mit der Urenkelin der Potsdamer Stadtverordneten Else Bauer, Barbara Diederich, den Ist-Zustand der Gleichstellung der Geschlechter und wie sich auch heutzutage immer noch in allen Bereichen der Gesellschaft Strukturen verändern müssen, damit Frauen wirklich die ihnen zustehende Hälfte der Welt kompetent ausfüllen und lustvoll gestalten können.

„Wir haben beim Thema Frauen in Führungspositionen mit vielen Vorurteilen zu kämpfen … und es liegt an uns Frauen, den weiblichen Nachwuchs zu fördern. Ohne Quote geht es nicht.“ Bettina Jahnke, HOT-Intendantin

Oberbürgermeister Mike Schubert nahm in seinem Grußwort außerdem Bezug auf den so genannten „Tag von Potsdam“, der sich in diesem Jahr zum 86. Mal jährt und der das Ende der Weimarer Republik einläutete, und darauf, dass gegenwärtig erstarkende rechte Kräfte bei der  Gleichstellung der Geschlechter das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen. Er rief dazu auf, dass alle Demokrat* innen dagegen zusammenstehen müssen.

Einer neuen vieldeutigen Kultur des Miteinanders, die das vorherrschende und ausschließende „Entweder-Oder“ durch ein diverses und inklusives „Sowohl-als-Auch“ ersetzt, redete die Potsdamer Schriftstellerin Antje Rávik Strubel in ihrer fulminant-vielschichtigen Festrede „Die unerhörte Logik der gleichen Berechtigung“ das Wort.  Sie sagte gleich zu Beginn, dass sie sich dabei für „ihre optimistische/ visionäre Stimme entschieden“ habe und benannte auch viele „kluge, toughe, coole Vorbilder“, die keine Lust mehr auf die Welt „der Mad Men“ haben.

„Einmal hinaussegeln aus dem klaren menschlichen Gerüst, hin zu Orten, wo es keine universalen, sondern multiversale Menschenbilder gibt.“ Antje Rávik Strubel, Festvortrag 18.03.2019

Im Foyer des Barberini wurde anschließend weitergefeiert und darüber hinaus an einer besonders auffälligen frauenpolitischen Proklamation gearbeitet. Auf einer mannshohen schwarz-weißen Kugel konnten die Festakt- Besucher*innen zahlreiche runde Sticker kleben, die ihre Forderungen nach Herstellung von Parität in allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens zum Ausdruck brachten. Diese „Wir wollen die Hälfte der Welt“-Kugel wurde am kommenden Morgen durch die Aktivistinnen des Frauenwahllokals öffentlichkeitswirksam der Landtagspräsidentin Britta Stark übergeben.

Die Forderungen nach Abbau struktureller Benachteiligungen von Frauen oder der Beendigung der Lohnungleichheit stehen jetzt gut sichtbar im Brandenburger Landtag genau wie die Forderung Jeanette Toussaints und des Frauenwahllokals endlich mehr Potsdamer Frauen und ihre Leistungen, zum Beispiel bei der Benennung von Straßen sichtbar zu machen. Toussaint schlug während des Festaktes unter Beifall vor, im neuen Potsdamer Mitte-Quartier am Alten Markt mindestens eine Straße, nach einer Frau – beispielsweise der SPD-Abgeordneten Anna Flügge, die ab 1928 in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung saß – zu benennen.

Text: Astrid Priebs-Tröger
Fotos: Karoline Wolf

 

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