„Erobert das Stimmrecht, meine Schwestern!“

Es war eine starke Ansage, die Irene Kirchner vom Frauenwahllokal zu Beginn der Lesung von Maren Kroymann und Sybille Nägele im T-Werk machte. Sie zitierte im Angesicht der Tatsache, dass Brandenburg als erstes deutsches Bundesland Ende Januar ein Paritätsgesetz verabschiedet hat, selbstbewusst die Anführerin der englischen Suffragetten Emmeline Pankhurst: „Wir sind nicht hier, um Gesetze zu brechen, sondern um Gesetze zu machen.“

Genauso siegessicher schrieb  Fanny Lewald, eine bürgerliche Vorkämpferin der Frauenemanzipation bereits im 19. Jahrhundert „Die völlige Emanzipation der Frauen ist nur noch eine Zeitfrage“. Die Schriftstellerin, die als „deutsche George Sand“ bezeichnet wurde, forderte schon damals das uneingeschränkte Recht von Frauen auf Bildung und gewerbliche Arbeit und setzte sich gegen die Zwangsverheiratung junger Frauen ein.

Sie und andere intellektuelle Vertreterinnen der bürgerlichen radikalen Frauenbewegung kamen am 28. Februar ausführlich zu Wort. Die feministische Kabarettistin Maren Kroymann,  selbst gerade frisch mit einem zweiten Grimme-Preis geehrt, und die Berliner Autorin Sibylle Nägele präsentierten diese in einer sehr dichten und pointierten Textcollage, die den Titel „Erobert das Stimmrecht, meine Schwestern“ trug, die von Sybille Nägele und Joy Markert zusammengestellt wurde.

Der titelgebende Aufruf stammt von Hedwig Dohm, die ebenfalls Schriftstellerin und eine der ersten feministischen Theoretikerinnen war. Auch das Frauenstimmrecht forderte sie bereits 1873 als eine der Ersten in Deutschland. Darüber hinaus setzte sie sich für das Recht auf Erwerbstätigkeit für verheiratete Frauen ein – in der BRD wurde dies erst 1977 gesetzlich verändert – und sie wandte sich gegen die Doppelbelastung der damaligen Landfrauen.

Mit vier Streitschriften, in denen Hedwig Dohm die völlige rechtliche, soziale und ökonomische Gleichberechtigung von Frauen und Männern forderte, wurde sie in den 1870er Jahren auf einen Schlag berühmt. Gleichzeitig stießen ihre tiefgründigen Essais auf heftige Kritik, auch in den eigenen Reihen der damaligen bürgerlichen Frauenbewegung, der die radikalen Thesen Dohms zu weit gingen.

Hochkonzentriert und sehr präsent las Kroymann unter anderem einen Auszug aus „Das Stimmrecht der Frauen“ und obwohl ihr wegen einer akuten Bronchitis zeitweise die Stimme versagte, kamen die besondere Beseeltheit und Sprachgewaltigkeit der Texte Hedwig Dohms eindringlich beim überwiegend weiblichen Publikum an.

Berührend war es auch, wie die beiden lesenden Frauen an die französische Menschenrechtsaktivistin Olympe de Gouges erinnerten, die 1791 die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ als Entgegnung auf die „Männer- und Bürgerrechte“ von 1789 verfasste und darin forderte, dass „wir Mütter, Töchter und Schwestern … fordern, Bestandteil der Nationalversammlung zu werden.“ Zwei Jahre später starb de Gouges, gerade 26 Jahre alt, dafür durch die Guillotine.

Ihr aufrüttelndes Manifest der Frauenbewegung wurde seitdem systematisch totgeschwiegen, wie Nägele berichtete, bis es in den 1970er Jahren von der Romanistin Hannelore Schröder wiederentdeckt und veröffentlicht wurde. Es bildete fortan einen Grundstein der zweiten Frauenbewegung, die die damals rebellierenden Frauen der Bundesrepublik mit den gleichfalls kämpferischen New Yorkerinnen verband. 

Auch die Texte der deutschen Juristin und Pazifistin Anita Augspurg, die Maren Kroymann auszugsweise las,  zeugten von analytischer Tiefenschärfe, großer Sprachgewalt und immer auch wieder von Schlagfertigkeit, wohltuender Ironie und  subtilem Humor.

Kein Wunder, dass sich so viele Frauen und auch einige Männer für die damalige Stimmrechtsbewegung begeistern ließen. Und diese schließlich vor 100 Jahren das aktive und passive Frauenwahlrecht erkämpfte. Das jetzt, weitere 100 Jahre später, endlich dazu genutzt werden sollte, für Frauen die wirklich paritätische Teilhabe in Politik, Wirtschaft und Kultur durchzusetzen. Oder, wie es das Motto der 29. Brandenburgischen Frauenwoche in diesem Jahr für fast alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens fordert: Hälfte/Hälfte – ganz einfach!

Text: Astrid Priebs-Tröger
Fotos: Gerhard Haug


Maren Kroymann

Sie ist Schauspielerin, Sängerin, Autorin, Kabarettistin und eine leidenschaftliche und engagierte Feministin, seit ihren Songs und Jugenderinnerungen „Auf Du und Du mit dem Stöckelschuh“, ab 1982, „Gebrauchte Lieder“, ab 2000, „In my Sixties“, ab 2011. Die Frankfurter Rundschau schrieb: „Großartiges musikalisches Entertainment.“
Sie war die erste Frau, die eine eigene Satiresendung in der ARD erhielt: die legendäre Sendung „Nachtschwester Kroymann“ bei Radio Bremen, von 1993 bis 1997. Seit letztem Jahr gibt es eine neue Sketch-Comedy: „Kroymann“. Die erste Folge erhielt den Grimme-Preis 2018 in der Kategorie Unterhaltung. Die zweite und die dritte Folge wurden für den Deutschen Comedy-Preis 2018 nominiert. Dann gab es jetzt im Januar den Deutschen Fernsehpreis 2019 für die beste Comedy.
Und nun wurde ihre Sendung zum zweiten Mal mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet (Grimme-Preis 2019 für „Kroymann“ im Wettbewerb Unterhaltung: Maren Kroymann (Buch/Darstellung), Sebastian Colley (Headautor).
In einem TV-Porträt des SWR heißt es, Maren Kroymann sei (Zitat:) „die wohl charmanteste Frauen-Aktivistin Deutschlands.“

Sibylle Nägele

Sibylle Nägele, Autorin, studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie am Trinity College Dublin und an der Freien Universität Berlin. Sie schreibt vor allem Prosa: Kriminalroman,  Kriminalerzählung, Reportagen in Magazinen. Im Rundfunk wurden Kurzhörspiele und Geschichten für Kinder gesendet. Zusammen mit Joy Markert schrieb sie das Buch „Die Potsdamer Straße. Geschichten, Mythen und Metamorphosen“, Berlin 2011. Mit ihrem Literatur-Salon Potsdamer Straße veranstalteten die beiden bislang über 250 Lesungen, Stadtführungen, Atelier- und Galerientouren.

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