Ihr habt die Wahl!

Lieder sagen – wie Bilder – manchmal mehr als tausend Worte. So war es auch während der politisch-literarischen Revue, die am 3. Adventssonntag im Filmmuseum stattfand. Fünf Schauspielstudentinnen der Filmuniversität Babelsberg sangen aus vollem Herzen und mit jeder Menge Esprit Chansons der 1920er Jahre und spiegelten so u. a. das Frauenbild der Weimarer Republik kongenial wieder.

„Ach Jott, wat sind die Männer dumm“, „Hannelore, Hannelore, schönstes Kind vom Halleschen Tore“ oder „Raus mit´n Männern aus´m Reichstag“ – die berühmten Claire-Waldoff-Songs erklangen dort und den mitwirkenden jungen Frauen * war deutlich anzumerken, das auch sie mit den Themen ihrer Ururgroßmütter durchaus noch etwas anzufangen wissen. Denn Geschlechtergerechtigkeit in all ihren Facetten und allen gesellschaftlichen Bereichen ist auch 100 Jahre nach Erlangung des Frauenwahlrechts noch nicht errungen.

Johanne Hoppe las aus Irmgard Keuns Roman „Gilgi – eine von uns“

Die politisch-literarisch-musikalische Revue „Ihr habt die Wahl!“ bildete den krönenden Abschluss einer vierteiligen Frauenfilmreihe, die im November und Dezember im Potsdamer Filmmuseum gezeigt wurde. Und die in Zusammenarbeit mit den Initiatorinnen vom Frauenwahllokal entstand und somit einen Bestandteil der vielfältigen Aktivitäten anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Frauenwahlrechtes bildete.

Die kämpferische Revue präsentierte neben viel Zeitkolorit der sogenannten „Goldenen Zwanziger“, die auch für eine Blütezeit in Kunst und Kultur stehen, auch zwei politische Protagonistinnen, die sich bei der Erlangung des Frauenwahlrechts verdient gemacht haben: Anita Augspurg als Aktivistin der bürgerlich-radikalen Frauenbewegung und die Sozialdemokratin Marie Juchacz, die als erste Frau überhaupt in der Weimarer Nationalversammlung eine Rede hielt.

Luzie Juckenberg, Amal Keller, Tina Schorcht, Sara Simons und Siri Wiedenbusch begeisterten das Publikum

Es war beeindruckend, überlebensgroße Porträts beider Frauen – mit ihren androgynen Kurzhaarfrisuren und der bequemen Reformkleidung – auf die Kinoleinwand projiziert zu sehen und dabei ihren damals modernen und zum Teil noch heute zeitgemäßen Gedanken zu lauschen, die von Ursula von Keitz und Johanne Hoppe vorgetragen wurden.

Beide, die studierte Juristin Augspurg und die Sozialreformerin Juchacz, die aus proletarischen Verhältnissen stammte, überzeugen noch heute mit der Kühnheit ihrer Fragestellungen und der Klarheit ihrer mutigen Schlussfolgerungen.

Ursula von Keitz las aus „Der Skorpion“ von Anna Elisabet Weirauch

Spannend war es auch, den Romanauszügen von zwei Schriftstellerinnen der Weimarer Republik zuzuhören. Anna Elisabet Weirauch war eine damals vielgelesene Unterhaltungs-schriftstellerin, die in „Der Skorpion“ als eine der ersten eine lesbische Liebesbeziehung in der deutschen Literatur beschrieb. Aus Irmgard Keuns Roman „Gilgi – eine von uns“ wurde eine Szene vorgelesen, die durchaus Parallelen zur gegenwärtigen #Metoo-Bewegung aufwies.

Das gesamte Programm bot eine überaus spannungsreiche Vielfalt von Frauenbildern und viele Facetten weiblichen Lebens, die sinnlich konkret nachfühlbar machten, was die Frauen vor einhundert Jahren bewegte und zum Handeln bewegte. Ihre unbändige Energie, ihr Mut und ihre Chuzpe  sind noch heute ansteckend!

Gänsehautfeeling mit den singenden Schauspielstudentinnen im Filmmuseum

Ganz zum Schluss noch einmal Gänsehautfeeling, als die jungen Frauen auch noch den berühmten „Brot und Rosen“-Song von 1912 anstimmten: „Wenn wir zusammen gehen, kommt mit uns ein bess’rer Tag. /Die Frauen, die sich wehren, wehren aller Menschen Plag./Zu Ende sei, dass kleine Leute schuften für die Großen./Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen!“
 
Dem ist auch mehr als einhundert Jahre später nichts hinzuzusetzen.

Text: Astrid Priebs-Tröger
Fotos: Irene Kirchner

*Mitwirkende:
Luzie Juckenberg, Amal Keller, Tina Schorcht, Sara Simons,
Siri Wiedenbusch

Musikalische Leitung: Michael Schenk                                                
Piano: Marc Timmermann

Print Friendly, PDF & Email

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.