Raus mit’n Männern aus’m Reichstag!/…/Wir machen draus ein Frauenhaus./ Das sang Claire Waldoff, die Chansonette mit der berühmten Berliner Schnauze, selbstbewusst und kämpferisch im Jahr 1926. Da war das Frauenwahlrecht gerade mal acht Jahre beziehungsweise zwei Wahlperioden alt und die Weimarer Republik in ihrer dritten Phase und den sogenannten „Goldenen Zwanzigern“ angelangt.
Die Frauenbewegung und die (alt hergebrachten) Frauenrollen änderten sich damals rasant. Immer mehr Frauen nahmen eine Erwerbsarbeit auf und im Januar 1919 beteiligten sich 82 Prozent der Frauen an ihren ersten Wahlen. Als die verfassungs-gebende Versammlung am 6. Februar 1919 eröffnet wurde, waren 8,7 Prozent der Abgeordneten Frauen, ein Anteil, der erst wieder nach dem 2. Weltkrieg erreicht wurde.
Dieser frauenpolitisch und kulturell ungemein spannenden Zeit widmet sich auch das Projekt „Frauenwahllokal“, das von ehrenamtlich engagierten Frauen unter dem Dach des Potsdamer Autonomen Frauenzentrums ins Leben gerufen wurde und im 100. Jubiläumsjahr des Frauenwahlrechtes – auch bundesweit – einmalig ist.

Die Ausstellungskuratorin, die Potsdamer Soziologin Jeanette Toussaint (Foto: Katherine Biesecke)
Den frechen Waldoff-Song, viele historische Film- und Tondokumente, zahlreiche Fotos und Texte, ein Suffragetten-Spiel oder eine nachgebaute Wahlurne, an der die historischen Stimmzettel der Reichstagswahl von 1928 hängen, kann man in der Ausstellung „100 Jahre Frauenstimmrecht“ sehen, hören und erleben, die am kommenden Freitag, dem 23. November im Eiscafé „Evas Sünde“ in der Innenstadt eröffnet wird.
Die Kuratorin, die Potsdamer Soziologin Jeanette Toussaint und Ausstellungs-gestalterin Susanne Stich haben sie in den zwei wohnzimmergroßen Räumen des Eiscafés mit viel Liebe zum Detail umgesetzt. Als erstes fallen einem die lebens-großen Silhouetten von Frauen in langen Röcken auf. Sie sind, wie die ganze Ausstellung in schwarz und pink gehalten und nehmen damit die Grundfarben des Cafés auf. Denn schließlich läuft während der Ausstellungszeit, die jetzt bis Weihnachten und dann wieder von März bis Mai 2019 geht, der gastronomische Betrieb weiter.

Else Bauer, undatiert (Privatbesitz Barbara Diederich)
So können die Besucher*innen z. B. beim Kaffeetrinken unter den Glasplatten der Tische Fotos anschauen und Texte lesen, die wesentliche Dokumente der deutschen und z. T. internationalen Frauen(stimmrechts-)bewegung zeigen. Auch die sechs Parlamentarierinnen, die am 18. März 1919 als erste in die Potsdamer Stadtver-ordnetenversammlung einzogen, werden vorgestellt. Das sei kein leichtes Unterfangen gewesen, wie Jeanette Toussaint erzählt, da es von ihnen beispielsweise keine persönlichen Dokumente gibt.
Über weitere Stadtverordnete konnten hingegen drei Enkelinnen und eine Urenkelin Auskunft geben. Dank ihrer Hilfe sind in der Ausstellung nun Porträts von Else Bauer, Anna Flügge und Pauline Wuttke zu sehen, die ab 1928 für die SPD in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung saßen und sich wie Else Bauer und Anna Flügge auch nach 1945 aktiv für die Entwicklung der Stadt engagierten. Eine Sichtbarmachung dieser Frauen gab es bisher so noch nicht.

Anna Flügge mit Tochter Hilde, um 1929 (Privatbesitz Ursula Demitter)
Die Ausstellung im „Frauenwahllokal“ richtet sich an frauenpolitisch Engagierte und an Menschen, die sich bisher mit dieser Thematik noch nicht beschäftigt haben. Das zeitgemäße Ausstellungsdesign ermöglicht einen unkomplizierten und zudem sinnlichen Einstieg in diese Thematik. Mit einem umfangreichen Rahmenprogramm sollen insbesondere junge Frauen angesprochen werden, sich heute politisch zu engagieren.

Pauline Wuttke, undatiert (Privatbesitz Helga Liess)
Beeindruckend für die Ausstellungsmacherin sind auf jeden Fall die Frauen aus proletarischen Haushalten, die zumeist nur einen Volksschulabschluss besaßen. Hier gingen politisches Engagement Hand in Hand mit Weiterbildung, Kindererziehung und oft auch noch Erwerbsarbeit. Daher kann deren Einsatz gar nicht hoch genug gewürdigt werden, so Jeanette Toussaint. Was natürlich viele Parallelen zu heute aufwirft, weil die Vereinbarkeitsfrage von Kindererziehung, Beruf und gesellschaft-lichem Engagement nach wie vor auf der Agenda der Frauenbewegung steht.
Oder um nochmal Claire Waldoff zu zitieren: Die Männer hab’n alle Berufe/Sind Schutzmann und sind Philosoph/Sie klettern von Stufe zu Stufe/In der Küche steh’n wir und sind doof/Sie bekommen Orden, wir bekommen Schwielen/Liebe Kinder, es ist eine Schmach!/Ja, sie trau’n sich jar, die Politik zu spielen -/Aber – na, sie ist ja ooch danach!
P. S. Die Blogüberschrift hängt einerseits mit dem Namen des Cafés von Eva Schmale zusammen, andererseits, weil wir finden, dass das Frauenwahlrecht kein „Sündenfall“ sondern ein wesentlicher Schritt in der Frauenemanzipation war. Auch und vor allem, weil Konservative aller Couleur heutzutage das Rad der Geschichte liebend gern ein Jahrhundert zurückdrehen würden.